Ich bin ein People Pleaser. Schon immer.

Ich versuche immer, es jedem Recht zu machen, bin wirklich schlecht im Streiten und will einfach dass alle irgendwie glücklich sind.

Und dass das nicht immer geht, musste ich hier in Ecuador ein bisschen auf die harte Tour lernen.

Eigentlich komme ich sehr gut mit Menschen klar. Ich weiß, wie man eine Verbindung aufbaut, ein vernünftiges Gespräch führt, den Wortfluss am Laufen hält.

Nur irgendwie blöd, wenn man die Wörter nicht beherrscht, weil sie nicht die eigenen sind.

Was will ich damit sagen, ganz konkret?

Ich bin hier in Ecuador in einer Gastfamilie angekommen, in der Annahme eine zweite Familie zu finden. Sich mit Leichtigkeit in die Reihe der Mitglieder einzufädeln.

Leider weit gefehlt. Zu Anfang waren es die fehlenden Worte, mittlerweile ist es der fehlende Anfang, der einfach kein Vertrauen, keine Leichtigkeit, ein großes Nichts hat aufkommen lassen.

Das ist vielleicht keine Optimalvoraussetzung, aber doch lebensbar, nur für ein Jahr, wie zur Untermiete – wäre da nicht meine dünne Haut und die etwas Konservative Einstellung meiner Gastmum Cati.

Ich habe also versucht der brüllenden Stille „zu Hause“ entgegenzutreten. Habe mir andere Dinge gesucht, die mich erfüllen, mich beglücken, während Cati Tag für Tag zu Hause war um Mittags die Familie zu bekochen und danach zu arbeiten.

Vielleicht ist es nicht die feinste Art, sich so aus der Affäre zu ziehen, aber ich möchte dieses Jahr nutzen. Und nicht, indem ich aus Pflichtgefühl zu Hause in meinem Bett hocke und Däumchen drehe.

Das Pflichtgefühl war trotzdem da. Immer das schlechte Gewissen, wenn ich erst nachmittags von Arbeit und Klavier üben nach Hause gekommen bin. Oder spät abends vom Karatetraining.

Und es hat an mir genagt. Immer war ich irgendwie angespannt, gestresst, hab Cati immer nur in letzter Minute Bescheid gesagt, wenn ich weggegangen bin, versucht zu reduzieren.

Keine fünf Tage die Woche trainieren, sondern nur zwei. Immer fragen ob wir irgendwelche Familienpläne haben, bevor ich irgendwo fest zusage. Ausreden finden, die plausibler klingen als die Wahrheit.

Und Cati? Hat nur mehr oder minder stumm zugeschaut und kein Gespräch gesucht. Stattdessen habe ich nur Seufzer und Kopfschütteln geerntet, wenn ich abends vor ihrer Zimmertür stand um ein „Ich bin wieder da“ in den dunklen Raum zu flüstern.

Das habe ich daraufhin dann auch aufgegeben.

Die einzige Ansage war von Beginn an: einmal die Woche am Wochenende bis maximal 1 Uhr ausgehen ist okay. Sonst immer um 10, spätestens 11 zu Hause.

Ganz schön hart, wenn man abends ganz entspannt und zeitvergessen bei Mateo auf dem Bett zu dritt Karten spielt, den übelsten Schwachsinn labert und dann um kurz vor eins die Nachrichten der Gastschwester sieht, die schon um kurz nach 12 eingetrudelt sind.

„Chiqui kommst du“

„Meine Mami fragt nach dir“

„Das sind zwei Nächte in denen du spät nach Hause kommst“

„Meine Mami wird das nicht mehr lange mitmachen“

„Versuch dich zu benehmen, wir sprechen morgen hierüber!“

„Komm“

Und auf einmal ist die ganze Leichtigkeit, die ganze Lebenslust mit fünf Nachrichten in den Wind geschickt.

Kloß im Hals, ein schlechtes Gewissen, ängstlicher Blick auf den nächsten Tag. Schon wieder habe ich was falsch gemacht. Schon wieder ein Gespräch in Aussicht.

Vorwürfe, Vorwürfe, Vorwürfe.

Und meine zwei überforderte besten Freunde, die auch nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen, außer Cati zu verfluchen und mich schnellstmöglich mit einem „das wird schon wieder“ in ein Taxi zu stecken.

Es hat mich zermürbt.

Die Freiheit die ich von zu Hause kenne hat sich auf einmal in ein kompliziertes Jonglieren aus meinen persönlichen Bedürfnissen und Catis unausgesprochenen Ansprüchen gewandelt.

Und das größte Problem: es gab nie konkrete Vorwürfe. Nie einen konkreten Streit. Nie konkrete Verbote.

Nur umeinander herumschleichen, raten und fühlen.

Das hat die Entscheidung für mich auszuziehen wohl auch so schwer gemacht – es gab einfach kein konkretes Problem.

Die Idee selbst ist tatsächlich auch in Timons Gehirnwindung gewachsen.

„Wenn ich du wäre, ich wäre da schon längst raus“, hat er mir einmal gesagt. Und seit dem Gespräch ging mir die Bemerkung nicht mehr aus dem Kopf.

Und bei der nächsten Spannung, der nächsten aufgeladenen Reibung zwischen Cati und mir ist sie dann in Form einer Nachricht an meine Mentorin geplatzt.

Und auch wenn ich es am nächsten Tag schon bereut habe – ab da gab es irgendwie kein zurück mehr.

Gespräch mit meiner Mentorin Carmen, drei Optionen: 

1.: mit Cati sprechen und es nochmal versuchen

2.: in eine andere Gastfamilie wechseln,

3.: ausziehen

Ersteres ist für mich eigentlich von Grund auf ausgefallen. 

Ich weiß nicht ob es an unserer unterschiedlichen Kultur, oder tatsächlich an unseren unterschiedlichen Persönlichkeiten liegt, aber ich habe das Gefühl, Catis und mein Lebensstil passen einfach nicht zusammen. 

Sie hat ihre Prinzipien, ist stur, geordnet und ruhig. 

Ich bin laut, chaotisch, spontan und brauche meine Freiheit.

Vielleicht ist das eine zu vereinfachte und beschränkte Sichtweise der Dinge, aber es entmutigt ganz schön, wenn ich das Gefühl habe, alles zu versuchen, und nichts zurück zu bekommen.

Zweiteres, eine neue Gastfamilie suchen, habe ich tatsächlich versucht. Auf Carmens Vorschlag hin habe ich eine mögliche Ersatzfamilie zu einem nachmittäglichen Kennenlernen besucht.

Eine ältere Dame und ihre Tochter, mit zwei Hunden und Familiencatering. Und die beiden waren echt nett, mehr aber leider auch nicht.

Hätte es sofort gefunkt zwischen uns hätte ich freudestrahlend „Ja“ gesagt und wäre innerhalb der nächsten zwei Wochen umgezogen. So aber… 

Die Aussicht nochmal komplett von vorne anzufangen – wieder eine neue Familie, wieder neue Regeln, wieder ein neuer Lebensstil zum anpassen – es hat mich einfach so unglaublich ermüdet. Und ich war doch schon am Stolpern.

Also drittens. Alleine wohnen. Eine große Aufgabe in einem fremden Land, in dem ich den Alltag der Selbstständigkeit noch weniger nachvollziehen kann als in Deutschland.

Und doch – die Idee einer eigenen Wohnung hat mich zugegebenermaßen schon immer fasziniert.

Eigene Freiheit, eigene Verantwortung. 

Ich habe mich also auf die Suche begeben. 

Alle möglichen ecuadorianischen Kontakte die ich hier habe um Auskunft gebeten, Mateo, meinen Karatetrainer, meine ehemalige Spanischlehrerin, und mich schlussendlich sogar dazu herabgelassen Facebook runterzuladen 😉

Das wird hier irgendwie von allen in allen möglichen Lebenslagen genutzt. 

Tage und Nächte habe ich mich durch Anzeige um Anzeige gescrollt. Leute angeschrieben, bin ignoriert worden, oder habe Antworten bekommen und Besichtigungstermine ausgemacht.

Alles alleine. 

Meiner Mentorin habe ich nur alle paar Tage eine Anzeige geschickt um eine Meinung einzuholen (sie muss die Wohnung absegnen), ansonsten kam von ihr leider erschreckend wenig, Unterstützung gleich null.

Aber das gehört in ein anderes Kapitel.

Und zwischendurch immer wieder Zweifel. 

Ist es wirklich so schlimm? Will ich wirklich ausziehen?

Und zwischendurch immer wieder Einbrüche. 

Ich kann nicht mehr. Ich muss mal eine paar Tage durchatmen. Ich habe keinen Platz für mich.

Ich glaube ich habe noch nie so viel geweint wie in den letzten zwei Monaten. 

Und das hat mich erschreckt. 

Ich bin eigentlich niemand, der schnell weint. Niemand, der schnell aufgibt, niemand, der nicht mehr weiter weiß, niemand, der verzweifelt.

Aber ich bin es in den letzten zwei Monaten geworden.

Das kann ich jetzt mit ein bisschen Abstand zu der Situation sehen und mir nur auf die eigene Schulter klopfen.

Denn ich bin für mich und mein Wohlbefinden und meine Bedürfnisse eingestanden, entgegen aller Unannehmlichkeiten und Zweifel und Ängste. Denn die hatte ich. Definitiv.

Kurz vor Weihnachten ist dann alles explodiert.

Ich erspare hier mal die Einzelheiten, das würde diesen Eintrag ins Unendliche ziehen.

Zu den Fakten nur so viel: 

Ich hatte eine bezahlbare Wohnung gefunden, in guter Lage, zwei Zimmer, möbliert.

Nur ein/e Mitstreiter/in hat mir noch gefehlt. Und die habe ich dann ganz unerwartet in meiner Mitfreiwilligen Florentina gefunden. 

Auf einmal ist aus diesem ewig weit entfernten Ziel, eine reale Möglichkeit geworden. Auf der ewig langen Durststrecke ein Ende in Sicht.

Das ist ganz schön beängstigend. 

Aber auf einmal ging alles ganz schnell.

Ich habe mit Florentina und Carmen nochmals die Wohnung besucht, die meine Mentorin nur gestresst und widerwillig abgenickt hat.

Auszugstermin festlegen, Vertrag fertigstellen lassen und meine größte persönliche Hürde – Cati beichten, was ich in den letzten Monaten unter versteckter Hand so mühsam vorangetrieben habe.

Ein Tag vor Weihnachten.

Ich habe gewartet. Bis einen Tag nach Weihnachten. Zwei Tage vor meinem Auszug. 

Ich wollte das Fest mit der Familie nicht versauen. 

Wollte mir selbst ein bisschen Zeit zum Mut zusammenkratzen geben. Und dann, dann habe ich es durchgezogen.

Gott war ich nervös. Habe vorher mit meiner Mutter am Telefon alles dreimal durchgekaut (Danke Mama für den Support an dieser Stelle ;)), mir einen stichfesten Plan zurechtgelegt und mir alle möglichen Reaktionen ausgemalt.

Drei mal bin ich die Treppe hoch und wieder runtergelaufen, bis ich einfach den Mund aufgemacht habe.

„Cati, ich habe da lange drüber nachgedacht und die Entscheidung ist mir wirklich nicht leichtgefallen, aber… Ich möchte ausziehen.“

Kein Geschrei, keine Fassungslosigkeit, kein Schmerz in ihren Augen. 

Nur ein „Okay. Du musst das machen was am Besten für dich ist. Wenn du dich dort besser fühlst.“

Ich habe mit allem gerechnet. 

Nur nicht mit solcher Gleichgültigkeit.

Und das war wohl der letzte Tropfen, der mich darin bekräftigt hat, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. 

Ich muss bei niemandem bleiben, dem ich egal bin.

Ich muss mich für niemanden bemühen, dessen Gefühle ich in keinster Weise beeinflusse.

Und auf einmal, war ich frei. 

Habe zwei Tage lang meine Koffer gepackt und bin schließlich am 28.12.24 das letzte Mal aus Catis Haustür gegangen.

Ich bin ihr nicht böse.

Wir beide haben Fehler gemacht. 

Wir beide haben Versuche gemacht und uns schlussendlich irgendwo in der Mitte verfehlt.

Und auch wenn ich in dieser Situation gelitten habe, einsam war, auf mich alleine gestellt, wie wohl noch nie zuvor, bin ich ihr irgendwie auch dankbar, dass ich an diesem scheinbar unüberwältigendem Berg so sehr wachsen durfte.

Ich bin das erste Mal richtig für mich selbst eingestanden, alleine.

Ich habe das erste Mal nur auf mich gehört, auf das was ich für mein mentales Wohlbefinden brauche, auf meine Bedürfnisse, alleine.

Ich bin das erste Mal jemand anderem auf den Schlips getreten, um meine eigene Haut nicht weiter zu versengen, alleine.

Das alles war alles andere als einfach. Aber ich bin dankbar für die Hilfe von meinen Freunden und von fast Fremden, von denen ich keine Hilfe erwartet habe.

Und ich bin stolz. So unglaublich stolz auf mich. 

Dass ich weitergegangen bin, 

dass ich mich nicht klein gemacht habe, 

dass ich es nicht einfach ausgehalten habe.

Man könnte fast denken, ich bin ein Stückchen erwachsen geworden.

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Eine Antwort

  1. Hallo liebe Hannah.
    Deinen Blog zu lesen war toll. (Auch wenn es das zweite Mal war). „Überdurchschnittliches ….“ 🤣
    Wo waren wir als das alles spielte habe ich mich gefragt. Wir haben manchmal vermutet das es nicht der Riesen Wurf war mit Cati aber nicht das du so leidest. Ich hatte manchmal das Gefühl das du beim telefonieren deine Tränen „wegsingst“. Da kam manchmal so eine Melodie während eines Gesprächs mit dir. Letztendlich glaube ich das du dich stark halten wolltest/musstest um die Anfangszeit durchzuhalten und alles einzuschätzen zu können. Um dann in einem Moment, fast reflexartig, die richtige Entscheidung zu treffen: Mentorin informieren, raus aus dem Cati Haus. Punkt.
    Viele Erfahrungen begegnen uns im Leben, das Kapitel „Gastfamilie“ war für dich eine wertvolle und schwierige. Zum Glück hast du dort Freunde die sehen wie es dir geht und Dinge beim Namen nennen. So bekommt dein Gefühl eine Stimme.

    Ich drücke dich ganz feste ❤️

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